Kolumne: Warum tragen wir eigentlich keinen Fahrradhelm?
Im Sekundentakt donnern die klapprigen Mühlen über das Kopfsteinpflaster und klingeln sich ihren Weg frei. Wer bremst, verliert, heißt es in Amsterdam. Für eine ganze Weile lang beobachte ich dieses wahre Fahrradspektakel und die elegante Kunst des Umfahrens zahlreicher Touristen, die wie verschreckt mitten auf der Fahrbahn stehen bleiben. Wer konnte schon damit rechnen? Was mir schnell auffällt: Nicht einer der Radfahrenden trägt einen Helm. Wirklich niemand. Egal, ob Studentin mit Wocheneinkauf im Körbchen, Business-Typ mit Aktentasche am Lenker, Kleinkind mit Eis in der Hand oder Radsportler im engen Höschen. Wenn man den holländischen Statistiken Glauben schenken mag, wohnen in den Niederlanden mehr Fahrräder als Menschen und in jeden zweiten Unfall, ist ein Radfahrender verwickelt. Entweder haben die Amsterdamer einfach mehr Glück auf dem Drahtesel oder sie sind die wahren natural born Biker. Ich muss zugeben: Auch ich wäre nicht auf den Gedanken gekommen, mir zu meinem Leihfahrrad einen Helm zu besorgen. Warum auch? Dabei sollte die Frage eigentlich lauten: Warum zur Hölle setzen wir eigentlich so ungern einen Helm auf?
Ich erinnere mich noch heute an diesen einen Moment im Alter von vielleicht fünf Jahren als mein Vater meinen Helm verschließen wollte und aus Versehen ein Stück Haut eingeklemmt hat. Das Geheule war ziemlich groß. Ich verbinde mit dieser Schüssel nicht gerade die besten Erinnerungen. Auf meinem Geburtstagstisch zum 30. landete ganz heimlich ein Gutschein für den Kauf eines Helms. Ein bisschen skeptisch schaue ich noch immer auf das Stück Papier. So ähnlich ging es wohl auch den 725 befragten Radfahrenden im März diesen Jahres bei der Frage, was sie davon abhält, einen Helm zu tragen. Aufgestellt von Statista und dem britischen Meinungsforschungsinstitut YouGov. Die Antworten sind fast absehbar. Fahrradhelme sind zu teuer, zu hässlich, sie ruinieren die Frisur, sie sind sperrig zu transportieren und unbequem auf dem Kopf. Ganze zwölf Prozent gaben sogar an, dass sie sich mit einem Helm nicht sicher fühlen. Wenn ich mir das so durch den Kopf gehen lasse, sieht es für die Styroporschale in Deutschland im Vergleich zu Spanien, Finnland oder Neuseeland nicht so gut aus. Auch meine eigenen Befindlichkeiten stehen noch vor dem Schutz im Straßenverkehr. Ziemlich irrsinnig oder? Das Argument „Bis jetzt ist ja noch nichts passiert“ – immerhin sind das schon mehr als 25 Jahre im Sattel – ist ziemlich stark eingebrannt. Wozu also was ändern? Bei der Redaktionsarbeit für unsere Kiel-Ausgabe diesen Sommer habe ich unter anderem Niels an einer Straßenecke kennengelernt. Er erzählte mir, er war nur für einen kurzen Moment lang abgelenkt und donnerte mit dem Kopf gegen ein Straßenschild, was zur Folge hatte, dass er einer mehrstündigen OP am Schädel zusammengeflickt werden musste. Er stand lächelnd vor mir und berichtete mir von seiner Narbe, die einmal quer über den Kopf verläuft. Irgendwie ist mir das in Erinnerung geblieben. Muss denn wirklich immer erst etwas passieren, bis man buchstäblich aufwacht, die Arschbacken zusammenkneift und sich einen Helm auf den Kopf setzt? Er verhindert mit Sicherheit keine Unfälle, aber die Schwere einer möglichen Verletzung, da bin ich mir sicher. Wir können also an allen Fingern einzeln abzählen, warum wir niemals einen Helm aufsetzen würden, doch wie wir das ändern können, wissen wir nicht so recht.
Leider konnte mich auch die aktuelle Fahrradhelm-Kampagne von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nicht überzeugen, einen Helm aufzusetzen. Dank leichtbekleideter Germany’s Next Topmodel-Kandidatinnen, diskutiert angeblich ganz Deutschland über Fahrradhelme – einen aufsetzen will deswegen trotzdem niemand, denn wie die Kampagne schon selbst verrät: „Looks like shit“. Was für alle offensichtlich Scheiße aussieht, binde ich mir doch nicht auf den Kopf. Da haben allein die zehn Minuten mit Niels mehr bewirkt als eine 400 000 Euro schwere Kampagne. Was mich viel mehr beeindruckt, sind in meinem engsten Umfeld Freunde, die jeden Tag aufs Rad steigen und ganz selbstverständlich den Helm unter ihrem Kinn einklicken. Keiner bedenkt sie mit komischen Blicken. Keiner lacht. Keiner von ihnen kommt mit einer Sturmfrisur nach Hause. Keiner beschwert sich über einen sperrigen Gegenstand. Vielleicht ernten sie sogar alle einen neidischen Blick, weil sie sich genau das trauen, wovor wir helmlosen Traumtänzer uns scheuen. Es geht schlichtweg nur darum, eine neue Routine zu entwickeln und weniger darauf zu hören, was jemand über uns sagen könnte. Scheißegal. Vielleicht sollten wir uns alle mehr an die Hand nehmen, gegenseitig wachrütteln und in den nächsten Fahrradladen schleifen. Ich bin mittlerweile schon einen kleinen Schritt weiter und habe mich im Fahrradladen meines Vertrauens durch die Modelle getestet und ein äußerst ansehnliches Exemplar gefunden. Gekauft habe ich ihn noch nicht, denn da gibt es ja noch diesen Zettel auf meinem Schreibtisch. Aber ich werde es tun. Nur verschließen, werde ich ihn selbst und vielleicht auch auf den nächsten Ausflug nach Amsterdam mitnehmen.